Liebes Christkind
Gerhard Krenn
Liebes Christkind, hab’ Verständnis, wenn ich traurig bin:
G’rad hab’ ich erfahren, dass es dich nicht gibt!
Trotzdem schreib’ ich dir, weil wir seit Jahr’n vertraulich sind,
weil sonst jeder meine Wünsche weiterschiebt.
Ich wünsch’ mir ein Überlebensset mit Gasmaske,
Farbe ist egal, es zählt nur das Design.
Ich wünsch’ mir ein Plastikbäumchen, so in grünpastell,
diese Farbe wird in Zukunft selten sein.
Weil ich weiß, dass aus Geschichte niemand lernen will,
will ich ganz bestimmt kein Buch, nur ein Computerspiel.
Ich wünsch’ mir, dass man im Leben keinen töten muss,
aber diesen Wunsch hast du noch nie erfüllt.
Und an Hungernde verhind’re jeden Weihnachtsgruß,
weil bei uns man damit sein Gewissen stillt.
Weil ich weiß, dass es Vernunft noch nicht zu kaufen gibt,
hoff’ ich, dass das Christkind regelmäßig fliegt.
Liebes Christkind, sei nicht traurig, dass man dich nicht sieht,
denn man hielte dich für einen Schlagerstar.
Und wenn’s auf der Erde einmal keine Menschen gibt,
dann sei weiterhin zwar traurig, aber wahr!
Ich möcht’ einmal mit gewissen Leuten Schlitten fahr’n –
einfach so, obwohl es sicherlich nichts nützt.
Es sollte jeder „Danke“ sagen, der nicht bitten kann,
der sich auf das, was and’re glauben, stützt.
Weil ich weiß, dass keiner außer sich was and’res liebt,
wundert es mich nicht, dass es dich nicht mehr gibt.
Liebes Christkind, hab’ Verständnis, wenn ich traurig bin.
Ich hab’ g’rad gehört, dass es dich trotzdem gibt!
Ob ich’s glaube oder nicht, das hat jetzt keinen Sinn –
mir wär’ nur wohler, wenn mein Briefchen jemand kriegt!