SKANDALE (eine satirische Überlegung)
(Gerhard Krenn)
Es wäre unvorstellbar.
Burgtheater -
Götz von Berlichingen -
Neuinszenierung.
Statt "Er kann mich im Arsche lecken" (wohlgemerkt: IM Arsche, nicht AM Arsche) tönte es von der jugendlich bunt bewegten Bühne fremdländisch akzentuiert; "Er soll sich ins Knie ficken."
Das wäre nicht mehr der Götz von Goethe.
Ein Sakrileg, sich an so einem Originaltext zu vergehen!
Ein verlorener Abend, wenn der wichtigste Satz im ganzen Stück - wenn nicht sogar der gesamten deutschen Literatur- und Kulturgeschichte - gestrichen und durch ein modernes Pubertär-Idiom ersetzt würde!
Das Arschlecken kann man nicht so einfach ersetzen. Generationen würden daran zerbrechen, Persönlichkeitsstrukturen gerieten ins Wanken, das nationale Selbstverständnis samt seiner vielgerühmten Sprachkultur drohte zu versinken.
Der Regisseur aber verteidigt sich: "Hätte Goethe das Wort 'ficken' gekannt, er hätte niemals das verstaubte 'Arschlecken' empfohlen!"
Wie will denn der Herr Regisseur wissen, was Goethe getan hätte? Soll er doch seine eigenen Stücke schreiben, der Herr vom Regietheater! Da kann er ficken lassen wie es ihm beliebte und wäre dennoch nie so berühmt wie der heilige Dichterfürst.
Nun gut. Er könnte das Publikum beschimpfen. Aber an Peter Handke würde er auch nie heranreichen.
Das Ordinäre gehört zur Literatur wie das Salz zum Kochen. Was wären wir ohne Thomas Bernhardt, ohne Wolfgang Bauer, Gerhard Ruiss, Werner Schwab, Ernst Hinterberger, Niavarani, Palm, Rühm, Turrini, Jelinek - und wie sie alle heißen mögen? - Ein armes Land.
Ein Land, wo sich kein Publikum und keine Leserschar mehr mokieren, entrüsten und ereifern könnte, wie mit Nestbeschmutzern zu verfahren wäre. Fantasievolle Foltermethoden und ausgeklügelte Verfolgungskonzepte würden nie erdacht werden, der Hunger nach Skandalen wäre nie gestillt.
Ohne skandalöse Aufreger ist ein Land kulturell unterernährt.
Auch wirtschaftlich.
Die Stammtische wären verwaist, die Biererzeugung rückläufig, Theaterbuffets und -garderoben am Aussterben, private TV-Sender brotlos, Parlamentarier sprachlos und die alltägliche Fadesse uferlos.
Die Amis hätten auch wenigstens ihren Jack Karouac, ihren Charles Bukowski, ihre Gangsta-Rapper und ihre Vorabendserien mit sexdebilem Brachialhumor und hinzugeschnittenem Gelächter als Hilfe für jene, die noch nicht wissen, was lustig ist.
Die wissen gar nicht, wie gut sie's haben, die Amis. Aber das haben sie sowieso noch nie gewusst.
Denn - statt die Chancen auf Kulturskandale zu nützen haben sie sich das Ordinäre bereits einverleibt wie ihr fetttriefendes Fastfood zum adipösen Volksverständnis.
Wir nicht.
Das zeichnet uns aus. Möge das Ordinäre nie verlorengehen!
Fuck!